Dienstag, 21. Oktober 2008

Ich kann's nicht mehr hören!

Wer die Überschrift meines Posts als Aufschrei eines gequälten Gemüts deutet, liegt richtig. Denn heute war Bildungsgipfel, und so wurde mal wieder eines meiner Lieblingsthemen in der Öffentlichkeit breit getreten - natürlich mal wieder unter gelinde gesagt tendenziöser Perspektive.

Denn wenn man der Politik und den Forschern, die sie für meine Begriffe allzu bereitwillig unterstützen, glauben schenken darf, dann steht es böse um Deutschlands Kinder und Jugendliche. Wer aus "kleinen Verhältnissen" kommt, landet auf der Hauptschule, heißt es da. Und wer auf der Hauptschule landet, hat selbstredend keine Chance mehr, aus seinem Leben etwas zu machen.

Schade nur, dass die Populisten und Schlagzeilen-Drescher bei ihren Kampfreden das Kleingedruckte vergessen. Es stimmt nämlich gar nicht, dass alle Kinder aus weniger gut situierten Verhältnissen auf den (aus meiner Sicht von der selbst ernannten Öfentlichkeit erst dazu gemachten) "niederen" Schulformen landen. Ich sehe mich selbst als Beispiel dafür, und kann mich an keine Situation erinnern, in der ich von irgendeiner Lehrperson aufgrund meiner sozialen Herkunft bewertet worden wäre.

Angesichts eines Beispiels, das ich heute in der Sendung Frontal 21 (ZDF) aufschnappte, gingen bei mir aus ganz anderen Gründen alle Fragezeichen auf. Mit einer "2,5" als Durchschnittsnote würden nach der 4. Klasse 75% der Kinder aus besseren Vehältnissen für das Gymnasium empfohlen - und nur 23% der weniger gut gestellten Kinder. Dabei frage ich mich eher, ob nicht letztere realistisch weg gekommen sind - und die 75% der vermeintlich "Reichen" genau diejenigen, die es irgendwann schaffen werden, selbst die Gymnasien noch auf Niedrigstniveau herunter zu bremsen.

Und aufgrund solcher verzerrten Maßstäbe wird sich dann auch noch hingestellt und behauptet, die Bildung scheitere am Geld. Erstens hat Bildung nicht sonderlich viel mit Geld zu tun. Und zweitens könnte man denen, die davon wirklich profitieren können, mit den vorhandenen Ressourcen weit bessere Möglichkeiten eröffnen, wenn man diese nicht durch einen überzogenen Fördergedanken nach Strich und Faden verwässern würde. Damit meine ich nicht, Hauptschüler vegetieren und mehr manuell ausgebildete zur permanenten Unterschicht degenerieren zu lassen. Ich meine vielmehr: unabhängig vom Geld - jedem das Passende.

Übrigens war auch die ursprüngliche Idee von Humboldt, jeden im Bildungssystem so lange und vor allem so spezifisch zu fördern, dass daraus ihm selbst und der Gesellschaft maximaler Nutzen entsteht. Das nenne ich wahren Humanismus. Also Schluss mit dem unterschwelligen Faschismus-Generalverdacht gegen alle, die individuelle Leistungsfähigkeit als Kriterium für die persönlichen Bildungsmöglichkeiten ansehen. Und wie fühlt sich wohl ein Gymnasiallehrer, der allein aufgrund der Schulform als elitistisch und daher un-pädagogisch abgestempelt wird? Auch das kann ich nicht bestätigen - und das populistische Gerede nicht mehr hören!

5 Kommentare:

Gerd hat gesagt…

Klatsch, klatsch, klatsch....
Du triffst es auf den Punkt.
Aber die Förderung der individuellen Leistungsfähigkeit hängt von entsprechend vorhandenem und geschultem Personal ab. Dies ist auf Grund der Sparplänen der Politik zur Zeit nicht in ausreichender Anzahl vorhanden, bzw. wird ausreichend eingestellt. Es ist bei unserer sogenannten "Führungselite" noch immer nicht angekommen, dass alle Investitionen in unsere Kinder, sich später tausendfach rechnen.
Weiterhin geht es hier um Macht und weniger um Kompetenz.
Warum hat jedes Bundesland eine andere Schulpolitik?
Weil jeder Kultusminister seine Daseinsberechtigung braucht.
Einen anderen Grund kenne ich nicht.
Ich komme übrigens auch aus "kleineren Verhältnissen" und ich wurde auch nicht nach meiner Herkunft bewertet.
Trotzdem ist es schwerer sich sein Studium nebenher dazuzuverdienen wenn es sich die Eltern nicht leisten können.
Aber es prägt auch einen Menschen.

Anonym hat gesagt…

Da ich Sie als Läuferin bewundere und Ihre Beobachtungen über das alltägliche Leben schätze, muss ich hier Ihrer Verteidigung des Bildungssystems doch widersprechen. Kurz gesagt, denke ich, dass die Idee, die unserem Bildungssystem zu Grunde liegt, nämlich die der individuellen Verantwortlichkeit, falsch ist. Falsch, weil sie der Tatsache nicht entspricht, dass unser individuelles Verhalten bedingt ist durch viele gesellschaftliche Voraussetzungen: Familie, Geschlecht, auch finanzielle Voraussetzungen. Es ist schon ein sehr ärmliches Resultat der Schule, wenn ihre Absolventen glauben, sie hätten ihren Stand aus eigener Leistung geschafft, wenn sie glauben, wir lebten in einer Welt von Robinsons und nicht in einer Gesellschaft, wo die Arbeit aller mit der anderer zusammenhängt, wir auf de Leistungen vieler Generationen aufbauen und von den Ressourcen, dem Wissen und der Arbeit der ganzen Welt leben. Wenn das Gefühl der individuellen Verantwortlichkeit zwar Motor für viele bewundernswerte Leistungen Einzelner ist, so ist es doch auch der Motor für eine Entwicklung, die in eine falsche Richtung geht; einmal der rücksichtlosen Zerstörung der Natur, der individuellen Bereicherung auf Kosten der Verarmung anderer sei es hier, sei es anderswo in der Welt.
Ich selber habe als Sohn eines Arbeiters Gymnasium und Uni besucht, war nicht schlecht, musste aber gegen doch viele Schikanen und Probleme ankämpfen. Immerhin gab es während meiner Zeit noch wenige Lehrer, die neue Ideen hatten, Reformen wollten – sie haben mir etwas bedeutet – aber bei meinen Kindern sehe ich, dass das alles vorbei ist. Pädagogisch sind die meisten Nullen, sind freizeitorientiert, haben nichts drauf, was sie den Schülern wertvolles vermitteln können, ziehen routiniert und asozial ihre Sachen durch. Keine Experimente, nichts von Reformprojekten: praxisorientiertes, soziales Lernen, Projekte usw. Statt dessen Klassenfahrten mit dem Flugzeug nach Italien usw. usw. Es ist einfach grauenhaft. Bildungsinhalte von vorgestern, kaum ein Lehrer, der in der Fabrik war. - Ich hör jetzt auf.
Ihren Bemerkungen entnehme ich eine Identifikation mit diesen Lehrern gegen die, die nicht mitmachen, nicht mitmachen können, nicht motiviert sind, mitzumachen. Es scheint mir ein Zeichen für eine durch die Schule und Gesellschaft hindurchgehende Feindschaft zu sein. Ja – Klassenkampf, Elitismus. Da ist schon was dran.
Noch was zu der Humboldtschen Bildungsidee vom „Lernen in Einsamkeit und Freiheit“. Ich habe dieses Lernen in Einsamkeit und Freiheit genossen und darunter gelitten. Dieser „Spaß“ ist heute nicht mehr möglich, abgesehen davon, dass diese Idee einfach bürgerlich und falsch ist.

Die Erleberin hat gesagt…

@Diro:
Ja, es wird leider zu viel ideologisiert und zu wenig investiert. Vor allem Letzteres ist eine Diagnose, die wohl unabhängig von der jeweils gewünschten Richtung in der Schulpolitik richtig ist. Allerdings glaube ich auch, dass heute zu viel auf's mangelnde Geld (des Staates) geschoben wird - und zu wenig darüber nachgedacht, welche Konzepte offen oder verdeckt schulpolitisches Handeln prägen.
Auch gebe ich dir Recht darin (und habe es selbst erfahren), dass ein Studium natürlich schwieriger zu bewältigen ist, wenn man nebenher seinen Lebensunterhalt ganz oder teilweise selbst verdienen muss. Die unseligen Studiengebühren setzen hier sogar nochmal einen drauf!

@anonym:
Ja, ich verteidige das Schulsystem oder zumindest die Aspekte daran, die auf die Förderung der individuellen Voraussetzungen abzielen. Das heißt nicht, dass ich glaube, all meine so genannten oder "Leistungen" hätte ich nur und ausschließlich mir selbst zu verdanken. Wenn wir allrdings scjon darüber sprechen, dass auch Geschlecht, soziale Herkunft und Familie eine Rolle spielen, muss man imho auch zugestehen, dass es Menschen gibt, die es trotz vergleichsweise schlechter Startbedingungen schaffen. Der Streit, ob angeborene Talente oder Förderung wichtiger für Leistung sind, ist auch in der Wissenschaft noch nicht endgültig entschieden. Und so lange halte ich es für vermessen, einem Schulsystem oder gar einzelnen Lehrern vorzuwerfen, sie förderten hier nicht genug und benachteiligten da. Auch glaube ich nicht, dass ein völlig "verhnunztes" Elternhaus durch noch so gute sekundäre Sorge der Schule und weiterer staatlicher Stellen ausgeglichen werden kann. Das ist traurig, aber wohl leider auch wahr.

Worin ich Ihnen nicht widersprechen möchte, sind Ihre Erfahrungen mit der aktuellen Lehrergeneration. Ich habe nur noch Kontakt zu denjenigen, die auch in meiner Zeit schon aktiv waren, und weiß nicht, in welche Richtung sich die Situation entwickelt hat. Allerdings stimme ich auch hier Ihren Pauschalverurteilungen nicht zu. Mag sein, dass Sie besonders unterdurchschnittliche Exemplare an den Schulen Ihrer Kinder kennen lernen mussten. Mag aber auch sein, dass Sie ein Problem bei Einzelnen fest machen, die sich nur einfach nicht mehr besser zu helfen wissen, als innerlich zu kündigen in einem System, das ständig drei Schritt vor, zwei zur Seite und anderthalb zurück macht!
Davon ab sehe ich einen Unterschied zwischen "nicht können" einerseits und "nicht wollen, nicht motiviert sein" andererseits. Letzteres bedeutet, dass jemand ihm gegebene Chancen mutwillig nicht nutzt. Daran muss jedes System scheitern, denn wie der Name schon sagt: ein bisschen Schema F wird immer dabei sein, wenn es für Millionen irgendwie passen soll.
Und nun noch zum Humboldtschen Ideal: Sie zitieren einen Aspekt, den ich hier nicht hauptsächlich meinte - wie wohl auch ich darunter gleichzeitig gelitten und die Freiheit genossen habe. Allerdings sind diese "Ideale" eine Verkürzung der Idee Humboldts. Der wollte nämlich vor allem für jeden eine Bildung, die zu ihm passt. Die Alternative hieß nicht Schulbesuch: ja oder nein und auch nicht Haupt-, Realschule oder Gymnasium, sondern soundsoviel Stunden Sprachen, soundsoviel Stunden Naturwissenschaften, soundsoviel Zeit in der Natur und sogar soundsoviel Zeit praktische/handwerklich Bildung etc. All dies lies sich beliebig kombinieren und war sehr individuell ausgelegt. Was daran "bürgerlich" sein soll, frage ich mich!

Anonym hat gesagt…

Ein interessanter Artikel. Ich habe gelernt, der Politik generell nicht zu vertrauen. Für mich sind diese Personen allesamt korrupt und fremdgesteuert. Und Forschern kann ich auch nicht glauben, solange ich nicht weiß, wer diese Forschungen finanziert. Wer bezahlt, dessen Lied ich sing… Ich sage nur Zigarettenindustrie.

Gerd, Bildung ist Ländersache. Daher entscheidet jedes Land selbst, wie es damit umgeht. Basierend auf dem von den USA diktierten System des Föderalismus. Das kann man der Regierung nicht unbedingt zum Vorwurf machen. Ich plädiere da eher für eine Form des Zentralismus.

Die Erleberin hat gesagt…

@black sensei:
Eine sehr radikale Ansicht gegenüber Politikern und auch Forschern. Wobei ich aus eigener Erfahrung weiß, dass letztere sehr wohl noch klar sehen und auch dort forschen, wo man einen Finger in die Wunde legen könnte. Nur lassen sie diese Studien dann in der Schublade (s. jetzt die Studie des Bildungsministeriums zur sozialen Abhängigkeit der Schullaufbahn) oder "spülen sie vor der Publikation weich".
Darüber hinaus würde ich sagen, dass die Amerikaner den Föderalismus nicht unmittelbar diktiert haben. Von allen Alliierten waren sie nämlich die, die ein wiedererstarktes Deutschland am wenigsten fürchteten - un den Deutschen als erste wieder erlaubten, überhaupt Politik zu machen - eben auf kommunaler- und dann auf Länderebene. Im Übrigen war Deutschland (sofern es existiert) schon immer ein Staat, der in viele Untereinheiten zergliedert war. Föderalismus als fremd oktroyiertes System - wo weit würd' ich nicht gehen!