"Hüten wir uns, denen die Wahrheit mitzuteilen, die nicht im Stande sind, sie zu fassen." (Rousseau, "Émile")
Dass es mit der Welt nicht zum Besten steht, konnten wir in der Blogger-Community in letzter Zeit immer und immer wieder lesen, zum Beispiel hier, hier oder auch hier. Urheber der Misere ist nicht der Mensch, wie es oft euphemistisch-distanzierend ausgedrückt wird, sondern sind Menschen, wir!
Nachdem sich meine Vorschreiber so inbrünstig den Resultaten menschlichen Fehlverhaltens gewidmet haben, drängte sich mir unmittelbar die Frage auf, warum wir es eigentlich nicht schaffen, unsere Sache besser zu machen. Ich meine, die ersten Berichte über Umweltzerstörung und nicht nachhaltiges Wirtschaften gab es im 19. Jahrhundert. Was nicht verhindert hat, dass ein Großteil der Industrialisierung auch danach nicht umweltschonender ablief, der Mensch sich weiterhin an seinen Mitgeschöpfen und sogar an anderen Menschen in unfassbarer Weise vergriff und immer noch vergreift, und das alles ohne Not und unter wiederholten Beteuerungen, es jetzt besser machen zu wollen, als in der Vergangenheit.
Wenn ich mich allerdings umsehe und in Anbetracht der Dinge, die ich auch durch meinen bewusst eingeschränkten Medienkonsum noch mitbekomme, dann scheinen wir hier nicht über Lippenbekenntnisse hinaus zu gelangen. Im Gegenteil werden mit Worten und vermeintlich vernünftigen Argumenten diejenigen niedergedroschen - oder von vornherein klein gehalten - die auf vorhandene Schieflagen aufmerksam machen. Der Protest gegen das klammheimich werdende Atom-Endlager Gorleben in der letzten Woche, an dessen Grundaussagen eigentlich kein Zweifel bestehen kann, ist dafür ein ebenso haarsträubendes Beispiel wie die Tatsache, dass es den US-Amerikanern und Briten allen Ernstes möglich war, trotz erwiesenermaßen falscher Beweislage den Irak-Krieg vom Zaun zu brechen. Gehässig hat man diejenigen gescholten, die, aus einem dumpfen Gefühl heraus oder auf fundierter Grundlage ein "zweites Vietnam" voraussagten; eine Sichtweise, die inzwischen wegen der misslungenen "Befriedung" (ein Begriff, der im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht eines Volkes so absurd ist wie Prügelstrafe für den Aubau kindlichen Selbstbewusstseins) nicht nur von vielen Irakern genau so empfunden wird. Und wem man seine vorgeblich unlauteren Motive nicht so unmittelbar unterstellen konnte, den diskreditiert(e) man mit dem Urteil "mangelnder Vernunft": ein Diktator muss nunmal weg (zumal wenn er es nicht mehr schafft, den Zugang zu weltwirtschaftlich wichtigen Ressourcen - sprich Öl - zu gewährleisten), und welche Alternative hat denn unser Wunderland zum Energielieferanten Kernkraft?
Niemand scheint zu bemerken, dass all diesen Argumenten nur ein einziges Motiv unterliegt: der Wahn, immer mehr immer schneller und immer "besser" zu machen, angetrieben durch eine Maschinerie, deren einziger Maßstab monetär ist, kaltes, inhumanes Geld. Diese Blindheit für das Wesentliche hat sich gerade in den letzten Monaten besonders extrem ausgewirkt. Denn was ist eine durch Schwierigkeiten an der Börse ausgelöste Krise der realen Wirtschaft anderes als der Irrglaube, dass überbewertete Chimären, die nicht mal mehr als Dollar-Noten oder Papier-Aktien, sondern nur in Computern als Bits und Bytes existieren, sich ernsthaft darauf auswirken könnten, wieviel Getreide wächst oder ob mir der Bauer um die Ecke Radischen für 50 Cent oder einen Euro das Bund anbietet?
Damit komme ich zurück zu der Frage, warum wir Menschen es eigentlich nicht besser machen. Und ich denke, die Angst, sich aus eingefahrenen Mustern zu lösen und gegen den Strom zu schwimmen, spielt dabei eine Hauptrolle. Das beginnt beim Medienkonsum und endet beim Handeln in viel individuelleren Situationen. Denn, ganz ehrlich: von der derzeitigen Krise der Weltwirtschaft hätte ich ohne die Medien rein gar nichts mitbekommen: meine Bank ist nicht pleite, mein Arbeitgeber auch nicht (oder schon lange, wie man's nimmer beim Öffentlichen Dienst) und die Preise einzelner von mir konsumierter Artikel lerne ich nicht in der Weise auswändig, dass sie zwangsläufig zum Seismographen für derartige Entwicklungen werden. Außerdem habe ich ganz stark den Eindruck, dass die "Vierte Macht" ihrer Aufgabe als Informationslieferant und Kontrolleur eben nicht alle Ehre macht. Stattdessen wird ein einmal begonnener Hype unterstützt, wird unreflektiert die Meinung der Mehrheit und vor allem der Mächtigen weiter posaunt, ohne kritisch zu hinterfragen und dadurch die Krise unnötig angeheizt.
Wie wäre es mal mit einem Gedankenexperiment zu einem autarken Leben? Aber auch diese Denkweise steht ja unter Deskreditierung wegen des Generalverdachts von "Sozialismus", wobei sich mir der damit verbundene Horror - abgesehen von realen Beispielen des vergangenen Jahrhunderts - nicht so recht erschließen mag. Dabei geht es eigentlich nur um das, was Watzlawick "Lösungen zweiter Ordnung" genannt hat. Es geht um ein Ausbrechen aus eingefahrenen Wegen. Von dort ließe sich vielleicht eine Außenperspektive einnehmen. Und diese würde uns dann nicht zeigen, dass alles doch nicht so schlimm ist; sondern klarmachen, wo der Schuh nicht scheinbar - siehe Medienhype - drückt, sondern tatsächlich.
Leider gibt es aber in der Welt keine Institutionen für "Problemlösungen zweiter Ordnung". Das Schauen über den Tellerrand und das Denken "out of the box" werden als nicht zielführend, ineffizient und esoterisch abgetan. Selbst eine Welt-Klimakonferenz beschäftigt sich nicht eigentlich mit den Ursachen des Klimawandels, sondern nur ganz banal mit quantitativen Zielen, mit denen man auf Basis einer mehr oder weniger verlässlichen Schätzung sich auf minimale Änderungen gegenüber dem Status quo einigen möchte. Dasselbe gilt für unser Wirtschaftssystem, an dem individuelle Bezahlung noch immer an einen starren Begriff unmittelbarer Verwertbarkeit gekoppelt ist; die Alternative, ein bedingungsloses, die physische und soziale Existenz sicherndes Grundeinkommen, ist auf der eigentlich politischen Bühne nicht einmal diskussionswürdig.
Ich könnte so noch eine Weile weiter schreiben, Kritikpunkt an Verschlimmbesserung reihen und immer wieder aufzeigen, dass Lösungen nicht unmöglich sind. Dies setzt aber das Hinterfragen der beschriebenen "Fehllösungen", ihrer Inhalte und Institutionen, voraus. Wäre es möglich, dass dies den meisten Menschen im Moment ebenso unbegreiflich wie vor allem unzumutbar ist? Und dass deshalb Andersdenker systematisch (wenn womöglich auch ungewollt) diskreditiert werden? Das wäre zumindest in Grund, warum wir scheitern...
Freitag, 14. November 2008
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3 Kommentare:
Besten Dank für diesen Artikel, der sich meinem wunderbar anfügt, bzw. ergänzt. Wir könnten zusammen glatt eine Serie daraus machen, gell? Nur, daß Du Dir die Mühe gemacht hast, Dich mit Lösungen auseinanderzusetzen. Ich finde das zu deprimierend.
Wie ich heute schon einmal schrieb, würden wir mit dem ganzen Umweltfrevel von hier auf jetzt aufhören, dann wäre die Welt in vier Wochen immer noch nicht im Lot. Im Gegenteil, was wir hier anrichten, wirkt sich noch Jahrhunderte/tausende aus.
Ich bin kein Kommunist oder Sozialist, aber für mich ist das Geld DIE Wurzel allen Übels. Die Medien als vierte Macht kannst Du vergessen. Heute wird die Zensur durch Überinformation forciert. Wer nicht so denkt wie die Mehrheit, wird bekämpft und lächerlich gemacht. Mit Geld ist alles möglich. Alles.
Was mich immerhin noch ein wenig tröstet, sind die intelligenten Beiträge von ausgewählten Bloggern, die nicht eklatant geschädigt sind und die WAHRE Realität noch wahrnehmen.
Danke Erleberin – schön, nicht allein zu sein. :-)
@blacksensei:
Danke für deinen Dank! Interessanterweise bin ich auch keine Sozialistin - und trotzdem sehr geldskeptisch. Ich glaube sogar, dass ich auf der Arbeit besser wäre, wenn es nicht ums Geld ginge. Grund: Ich könnte öfter mal meine (abweichende) Meinung sagen und würde mich in meiner Haut wohler fühlen.
Naja, alles kann der Mensch wohl nicht haben - aber kaputtmachen kann er alles:-(
Ach schön zu lesen wenn einem jemand so gedanklich fundiert und bestens geschrieben aus der Seele spricht. Danke!
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