Freitag, 31. Oktober 2008

Die Mär vom "Never give up"

Ich habe ja gestern gebloggt, dass ich mir ein paar Bücher bestellt habe. Eines davon ist "The Dip" von Seth Godin. Laut Eigenwerbung sollte einem das Opusculum (nur 80 Seiten und dafür vom Autor zurecht gelobt) einem zeigen, wie man Nutzen bringende von ausschließlich Kraft kostenden (und nicht nutzbringenden) unterscheiden kann. Oberflächlich tut es das auch, aber unterm Strich ist es doch die immer selbe Leier: Durchhalten lohne sich vor allem dort, wo es schwierig sei.

Die Begründung ist auf den ersten Blick so stichhaltig, wie sie auf den zweiten als rhetorischer Trick durchsichtig ist: Um in etwas wirklich gut zu sein, braucht es relativ viel Zeit und Energie. Wer in diesem Loch ("Dip") weiter durchhält, befindet sich auf dem Weg zu einem lohnenden Ziel. So weit, so gut. Doch sollen wir andererseits auch erkennen, welche unserer Aktivitäten eben nicht lohnend sind, um diese zwecks Kraftsparens rechtzeitig aufzugeben. Allein, der Faktor, ohne den die Rechnung hier regelmäßig gemacht wird, ist das Leben. Und dabei meine ich nicht das, was in solchen Ratgebern häufig "die Umstände" genannt und denjenigen hämisch als Hindernis a posteriori präsentiert wird, die ohnehin Verlierer seien. Ich meine den ganz alltäglichen Gang der Dinge, in dem einem viele Sachen leicht von der Hand gehen, einen andere zum Schwitzen bringen, wieder andere total langweilen und weitere vielleicht 5% zur totalen Verzweiflung treiben. Doch wie soll ich diese Masse an Eindrücken, diesen riesigen Fundus an Erlebnissen und Befindlichkeiten den scheinbar sauberen Kategorien zuordnen, so dass ich zu der laut Ratgeber "richtigen" Entscheidung gelange?

Die Antwort lautet: gar nicht, und wir auch nicht zu geben versucht. Der Trick ist stattdessen, dass einem allgemein gehaltene Ratgeber entweder ein generalisiertes schlechtes Gewissen machen. Das Motto heißt dann: Alle Fälle, in denen wir jemals etwas aufgegeben haben, sind Beweise unserer Faulheit. Hätten wir damals nur weiter gemacht, wären wir heute Millionär, Weltmeister, CEO, Werbe-Guru oder was immer wir uns wünschen. Oder die Bücher peitschen unsere Motivation ohne Rücksicht auf Verluste an, indem sie unseren zukünftigen Erfolg allein von unserem derzeitigen Willen und der daraus folgenden Tatkraft ableiten. Alternatives Motto: Wer etwas richtig anpackt, gewinnt auch, sehen Sie nur das Beispiel von Bill Gates, Tiger Woods, Oliver Kahn oder...

Allerdings hat die Sache einen kleinen Schönheitsfehler: Sie zeigt uns Beispiele von Erfolgen und verschweigt die für die seelische Gesundheit und die Integrität des Menschen sicherlich unverzichtbare Eigenschaft, uns im Rückblick einen "Lebensweg" zu konstruieren: So war's, und es war genau so richtig! Was aber wäre gewesen, wenn Bill Gates aus irgendwelchen Gründen Englische Literatur studiert hätte (vielleicht wegen der hübschen Lehrerin in der High School)? Oder wenn Oliver Kahn als Jungspund an einen Manager geraten wäre, der ihm neben seinem Vermögen auch gleich noch das Selbstvertrauen abgenommen hätte durch ein paar unvernünftige Deals? Kennt ihr den Film "Das Streben nach Glück"? Diese traurige Bassbegleitung, was denn aus den Hunderttausenden in den USA wird, die leider nicht (wobei Glück eine wichtige Komponente ist) zur richtigen Zeit an den richtigen Ort gelangen?

Und noch etwas gefällt mir überhaupt nich an dieser Art von Büchern (und ich werde das bei künftigen Käufen berücksichtigen): Sie ignorieren die Einzigartigkeit jedes Menschen und sind durch ein vorgeblich allgemeines Streben aller nach ganz oben nicht nachhaltig gedacht. Denn machen wir uns nichts vor: Nicht jeder will - ganz tief im Herzen - ein Häuptling sein. Vielleicht sind die Häuptlinge von gestern sogar die, die durch ihre Selbstüberschätzung die Misere von heute verursacht haben. Viel schlimmer aber: Im Prinzip kann jede/r Leser/in eines solchen Buches sich zu der Gruppe zählen, die ihm gerade passend ('convenient' - wie in convenience food ;-)) erscheint. Und also sagen, er oder sie wäre "zurecht oben" oder eben "zu Unrecht unten" oder "noch auf dem Weg". Nicht nur die Textanalyse fördert demnach auffällige Parallelen zm Horoskop zutage. "Nicht aufgeben" sollten wir demgegenüber nur in einer Disziplin: Diejenigen zu werden, die wir wirklich sind!

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"Diejenigen zu werden, die wir wirklich sind!" - Wie können wir etwas werden, was wir schon sind? ;)

Ich finde Deinen Beitrag sehr gut. Denn solche Parolen wie "Nicht aufgeben" sind herrlich abstrakt. Derlei erfolgreiche Lebensgeschichten (Gates) sind natürlich wunderbar, aber auf alle Menschen eben nicht übertragbar. Das ist abhängig von extrem vielen Faktoren - der Satz "nicht aufgeben und man kann das selber erreichen", funktioniert in meinen Augen nicht einfach so.

Aber Du hast ja selbst wunderbar auf den Punkt gebracht.

Die Erleberin hat gesagt…

@black sensei:
"Werde, der du bist!" ist, glaube ich, der Leitsatz der Epikureer. Bin mir da nicht 100%-tig sicher; in jedem Fall eine Art geflügeltes Wort in der Philosophie.