"Sie wollen die Fähigkeit ohne die Aneignung, die Entwicklung ohne die Anstrengung, die Ordnung ohne das Chaos, den Gewinn ohne das Risiko des Verlusts. Die unvermeidliche Unsicher interpretieren sie als Unfähigkeit und geben so ihre Entwicklung genau an der Stelle auf, an der sie den ersten und entscheidenden Schritt bereits getan haben."
G. Rückriem*
Nicht erst, seit ich blogge, ist mir folgende Parallele aufgefallen: Das Laufen wie auch das Schreiben sind Fähigkeiten, die viele Menschen gern beherrschen möchten. Doch während es wenige Glückliche gibt, denen beides scheinbar in den Schoß fällt, bleiben die entlegeneren Gebiete, die man sich in beiden Disziplinen erschließen kann, der Mehrheit verschlossen.
Wäre dieser Unterschied allein auf Begabung zurück zu führen, ich (und auch Rückriem), könnten hier einen Schlusspunkt setzen: Auf Wiedersehen, ihr Minder-Talentierten, gehabt's euch wohl und staunt, was wir so alles können. Aber laufen und schreiben, zwei so unterschiedliche Fähigkeiten gemeinsam in vielen Personen aus 'natürlicher' Veranlagung?
Da ist der Punkt schon eher bei Edison zu suchen, der 'Genie' bekanntlich als "90 Prozent Fleiß" definierte. Leider erlebe ich bei Gesprächen über das Laufen oft, dass meine Gesprächspartner genau diese unbequeme Wahrheit nicht wahrhaben wollen. Denn bei aller Bewunderung für das vermeintliche "Talent" eines laufendes Gegenübers, überwiegt bei den Argumenten gegen den Sport doch immer ein unbestimmtes "Ich könnte das nicht"?
Warum bloß: Weil jemand nicht in der Lage ist, auf ein etwas ferner liegendes Ziel hinzuarbeiten? Weil man es nicht schafft, seine Tage und Wochen so zu planen, dass dabei dreimal 30 Minuten Zeit gewonnen werden? Oder einfach nur, weil es auf dem Sofa ja so viel bequemer ist als in der rauhen Natur?
Wenn ich nur wüsste, wie man jemanden von der Freude am Laufen und der Genugtuung nach geschaffter Anstrengung erzählt? Wie man motiviert, ohne die Keule des "Wenn nicht..., dann..." zu schwingen.
*'Es läuft'. Über die Brauchnbarkeit von Analogien und Metaphern. In: Narr/Stary (Hrsg.)(1999): Lust und Last des Wissenschaftlichen schreibens. Frankfurt: Suhrkamp.
8 Kommentare:
Deinen Beitrag finde ich sehr interessant. Bisher habe ich Laufen und Schreiben noch nicht in Verbindung gebracht - zumindest nicht in dem Kontext, wie Du es hier tust.
Ein schönes Thema, um während meines Laufes darüber nachzudenken. :-)
Toller Beitrag.
"Geht nicht, gibts nicht" fällt mir dazu nur ein. Hatte unsere Mutter der Kompanie immer gesagt im Felde wenn etwas nicht so klappen wollte.
@blacksensei:
Ich bin gewissermaßen über diese Verbindung gestolpert, als es beim Schreiben mal "nicht lief". Viel Spaß beim drüber nachdenken!
@marco:
MUTTER der Kompanie? Ich dachte, da gibt's nur Väter?
Mutter der Kompanie ist der Hauptfeldwebel - der ist u.a. für Logistik und Verpflegung zuständig.
Talent ist das eine,
Fleiß ist das andere
Ohne Fleiß kein Preis
- abgedroschen aber wahr !
Aber braucht man zum Laufen Talent ?
Ich glaube nicht.
Talent vielleicht, aber nur, um ehrgeizig Ziele zu erreichen, besser als andere zu sein, neue Rekorde aufzustellen.
Aber auch hier mit Talent: Ohne Fleiß kein Preis !
Was das Schreiben angeht glaube ich schon, dass Menschen, denen Worte wesentlich leichter von der Hand gehen und um einiges gewandter zu formulieren in der Lage sind, mit einer Portion mehr Talent ausgestattet wurden als andere, die mühsam Worte zusammen suchen und dennoch den Leser zum Gähnen verleiten.
Ob hier allerdings mit Fleiß mehr Erfolg zu erzielen wäre ?
Und wenn, dann auch nur bis zu einem gewissen Grad, und wahrscheinlich würde er vom talentierten Schreiber immer wieder eingeholt werden.
C'est la vie, dafür kann der hier Nicht-Talentierte vielleicht besser mit dem PC umgehen, ist technisch versierter oder ein verbales Genie.
Qui sait ?
@ultraistgut:
"Ohne Fleiß kein Preis!"
An dieser Stelle sind wir uns, glaub' ich, einig. Gleichzeitig denke ich auch (wie du?), dass einige Menschen das Glück haben, von einem höheren "Ausgangsniveau" zu starten.
Allerdings glaube ich auch, dass Talent (oder das Fehlen davon) viel zu oft als Ausrede gebraucht wird, eben gar nichts zu erreichen. Und das habe ich sowohl beim Nicht-Laufen (Ach, so schnell wie du werde ich sowieso nie. --> Nein, aber du wärst fitter und müsstest nicht dauernd über deinen f%&/ A$%& jammern!) als auch beim Nicht-Schreiben (Meine Sätze klingen nie so gewählt, wie die von xy. --> Aber wenn du wenigstens 25 Seiten blabla mit Sitzfleisch zu Papier bringen würdest, hättest du endlich dein Diplom!) gehört.
Wenn die Leute dann andere Talente haben, die sie entwickeln, ist mir das lieb. Wenn ich allerdings an einen richtigen Jammerlappen gerate, dann *%%&//* Leider gibt's davon hier draußen im Leben eine ganze Menge, an die ich einfach nicht rankomm'. *seufz*
Gebe ich dir vollkommen Recht. Ausreden - darum ist wohl keiner verlegen, auch wenn es um ihr eigenes Wohl geht.
Entdecke ich bei einer Person echtes Interesse an unserem favorisierten Sport, kann sie sogar zu ersten Schritten zusammen mit mir motivieren, dann werde ich zur Missionarin und predige wie von der Kanzel von den unzähligen Vorzügen, die Laufen mit sich bringen können. Und es ist mir wahrlich schon öfter gelungen, das Feuer zu entfachen. Nicht alle, die durch meine Hände gingen, sind dabei geblieben, aber so manche frönen heute - auch ohne meine Hilfe - unserem gemeinsamen Sport.
Kürzlich sprach ich mit unserem hiesigen Pfarrer darüber, er möchte auch mit dem Laufen beginnen und äußerte Spasses halber den Wunsch, in seiner Kirche von der Kanzel über die mannigfaltigen Vorzüge des Laufens predigen zu wollen. Er fand das gut, ich lieber nicht, denn von seinen Anhängern würden mich wohl keiner oder nur einzelne für voll nehmen.
So predige ich weiter, wenn immer mir ein dankbares und interessiertes Opfer über den Weg läuft.
"...und äußerte Spasses halber den Wunsch, in seiner Kirche von der Kanzel über die mannigfaltigen Vorzüge des Laufens predigen zu wollen."
@ulraistgut:
Also ich hätte den Mann beim wort genommen. Niht so sehr, um Leute in der Kirche zum Laufen zu bekehren, sondern als philosophische Einübung in die tausend Parallelen zwischen Laufen und dem Lauf des Lebens. Hatten das Thema übrigens auch neulich. Arbeitstitel: Bergpredigt - revisited.
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