Samstag, 12 Uhr. Es ist ein schöner Tag, nicht nur dafür, dass wir November haben. Von der nahen Kirche weht das Mittagsläuten herüber, durch die isolierten Fenster wahrzunehmen als helles Summen mit vernehmbaren Schlägen, sofern man denn hinhört. Früher, in einer Zeit vor dieser, war das wie eine Schwelle. Zeit, nach Hause oder aus dem Jugendzimmer herunter zu kommen, den Tisch zu decken, wo es - im Rückblick zumindest - im Wechsel Spaghetti Bolognese, Spinat mit Spiegeleiern oder Weiße Bohnensuppe gab, oder einfach mit der ganzen Familie in der Küche zu klönen. Das Wochenende hatte begonnen, Zeit für uns, Zeit für mich, Zeit des Zusammenseins und der Geborgenheit.
Gerade komme ich von einem Lauf zurück. Knapp 1 Kilometer in etwas über 47 Minuten, nicht schlecht und trotzdem ein Genuss wenn man spürt, wie der Körper eins wir mit der Bewegung und sich die Seele über den Augenblick erhebt, um in der Natur aufzugehen, die hier, wenn auch eingebettet in Stadt, eine bestimmte Art weiter Geborgenheit bietet. Dass sich sogar ein mittelgroßer Hund ebenso neugierig wie respektvoll außer Reichweite eines graziösen Schwans hält, ist eine Anekdote aus diesem Wunderkosmos, der sich gerade demjenigen erschließt, der ihn häufiger und ohne großes Aufhebens im Sinne von "heute mal einen Spaziergang" besucht.
Was ich aber auch schon hinter mir habe, ist eine ganze Menge "Aktivität": Briefe wollen zur Post gebracht, öffentliche Stellen mit Formularen beruhigt und unzählige Netzwerke mit mehr oder weniger entscheidenden Beiträgen meinerseits zufrieden gestellt sein. Das Mittagessen um halb 1 ist längst kein Fixpunkt mehr, vielmehr das Wochenende ein Puffer, in den der allzu vollgestopfte Alltag viel zu oft hemmungslos hineinragt. Viel zu wenig Zeit bleibt für das Wesentliche, sei es im Kleinen (soziale Kontakte) oder im Großen (den eigenen Sinn finden - und leben).
In Anbetracht dessen überwogt es mich in unregelmäßigen Abständen, legt sich auf die Brust, um entweder als schriller Schrei zu entweichen oder sich als Stein groß und Schwer dort festzusetzen: das Gefühl, dass alles schief laufe. Und dabei sind es gar nicht die kleinen Fallen des Alltags, jene Zwischenfälle, über die man sich ärgert und die man dann konkret beschreiben und seinem Unmut auf diese Art Luft machen kann. Es ist mehr der Eindruck, dass alles Geschehen auf unheilvolle Weise in eine falsche - mir nicht entsprechende - Richtung führt. Er ist gepaart mit der Erfahrung, dass ich gegen diesen Ablauf ohnmächtig zu sein scheine - gefangen in Bahnen, die nicht zu mir passen.
In diesen Momenten wünsche ich mich zurück in die elterliche Küche. Nicht, weil sie besonders schön war. Mit ihrer 70er-Jahre-Küchenzeile, von der das Beste bereits "ab" war, war sie unter ästhetischen Gesichtspunkten sogar ausgesprochen hässlich. Und dass meine Eltern dort rauchten und ich mich trotzdem niederließ, unterstreicht einmal mehr die Bedeutung des dort stattfindenen sozialen Aktes. Und wenn es schon nicht Geborgenheit ist, zu der ich mich aufgrund ihrer Schattenseite, der Unfreiheit, zurücksehne, so ist es doch die Offenheit der damaligen Zeit. Die Chancen oder Illusionen von Chancen, die über einem Leben schwebten, das in dieser Szene kondensiert ist. Auf dass ich den Menschen wiedertreffe, der ich damals war, und sich die Lebenswege noch einmal kreuzen, um Traum und Wirklichkeit einander näher zu bringen.
Samstag, 8. November 2008
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
5 Kommentare:
Ich bin 25. Läufer. Student. in ähnlichem Alter und Zustand wie Du. Schätze ich. All das, was Du in diesem Beitrag unterbringst beschäftigt mich auch. Warum? Meiner Meinung nach, weil wir (unsere Generation) nicht mehr locker ins "richtige Leben" gleiten konnte und wir schon jetzt, im Studium, full-time worker sind. Oder? Aber zieh Dir mal Millieustudien rein, Sinus z.B. . (googln) Das Millieu der Modernen Performer kennt sie nicht mehr, die Pause. Im Job, Alltag what ever, wird der Sinn gefunden und dann hängt man sich auch rein.
@Lars:
Danke für deinen Kommentar. So lerne ich also noch einen weiteren meiner Leser kennen!
In der Tat mag es sein, dass ich (wir?) mit meinem/unserem Zustand nicht alleine bin/sind. Allerdings: Macht es das besser? Leichter zu ertragen? Vielleicht insofern, als man sich sagen kann "du bist nicht allein". Davon abgesehen glaube ich, dass wir Menschen mehr Sicherheit und Geborgenheit benötigen, als im im Moment möglich. Und das Paradoxe: Wir können weder "in Ruhe" Studenten sein, noch ein für allemal im "richtigen Leben" ankommen.
Ich wollte mich nur mal für Deine offenen Beiträge bedanken....ich lese sie gerne und sie bieten immer so viel Stoff zum Nachdenken ;)
P.S. - Knapp 1 km in 47 Minuten finde aber selbst ICH ein wenig...ähm...lahmarschig ;)))
@frollein holle:
*bg*: Muss wohl ein Tippfehler sein. Ich meinte gut 10 km in knapp 47 Minuten. Das ist ein Schnitt von 4:35 ;-)
Ja, ich gebe Dir recht. Die Frage ist: sträubt man sich dagegen oder geht man mit?
Ja, ich bin quasi Leser der ersten Stunde. Gefällt mir, Dein Blog. Und Deine Art zu Laufen. Laufen, überhaupt. Da entwickelt jeder seine eigene Philosophie. Laufen als Kunst?
Kommentar veröffentlichen